Offener Brief an Angela Merkel, an Horst Seehofer und das Bundesministerium für Inneres, BMI

Berlin, 01.09.2020

An Angela Merkel, an Horst Seehofer und das Bundesministerium für Inneres, BMI

Wir nehmen zur Kenntnis, dass das Innenministerium mit einem Kabinettsausschuss die Beschäftigung mit dem Thema Rassismus signalisiert.
Alles an diesem Ausschuss ist jedoch intransparent. Dies bewirkt eine Reproduktion von Rassismus anstelle seiner Bekämpfung.

Entsprechend dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG §1) fordern wir daher umgehend die Herausgabe von Informationen zur inhaltlichen und strukturellen Ausgestaltung dieses "Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus" und ebenso von Informationen über Voranhörungen und Zwischenberichte.

Insbesondere der Sitzungstermin am 2. Sept, sowie etwaige vorherige und zukünftige Anhörungen von Expert:innen der Zivilgesellschaft und Wissenschaft sind weder zeitlich noch personell offiziell angekündigt. Es ist nicht transparent, wann und ob Voranhörungen stattgefunden haben, welche Expert:innen eingeladen wurden oder welche Zwischenergebnisse generiert wurden.

Auch ist nicht bekannt, welche Expert:innen und Organisationen zu welchen Themen wielange sprechen werden, wie deren Auswahl erfolgte, inwieweit ihre Förderung durch Bund und Länder diese Auswahl beeinflusst bzw. wie unabhängig sie sind.

Es bleibt unklar, wie und ob Sie die politische Teilhabe von unabhängigen und freien Antirassismusexpert:innen gewährleisten.

Weder die vergangenen Termine des Kabinettsausschusses wurden bekannt gegeben, noch sind die Tagesordnungen einsehbar. Der Bericht über die erste Sitzung trägt kein Datum, nennt keine:n Autor:in und ist ohne Anwesenheitsliste. Auch Mehrsprachigkeit und Barrierefreiheit fehlen.
Die Webseite des BMI hat weder eine eigene Info-Seite für diesen (vorübergehenden ?) Kabinettsausschuss – im Gegensatz zu den ständigen Expert:innenkreisen zu Antisemitismus, Antiziganismus und Islamfeindlichkeit – noch sind Ansprechpersonen oder ein Kontaktformular zu finden.

Es ist also für uns als nichtregierende Partei unmöglich, Anfragen zu stellen und adäquat über den Prozess Auskünfte anzufordern.

Umgekehrt finden aus dem BMI unzutreffende Informationen den Weg nach draußen, wie z. B. dass die Expertise von Frau Dr. Natasha A. Kelly vom BMI in Anspruch genommen würde - nur dass Frau Dr. Kelly selber nicht davon weiß.

Die Einladungspolitik, die mangelhafte Dokumentation, die Intransparenz – all das reproduziert Rassismus, statt ihn abzubauen. Maßnahmen, die von einem Gremium beschlossen werden, das ggfs. nicht die Bandbreite der dringend nötigen unabhängigen Expertisen berücksichtigt, sind kontraproduktiv.

Ihre Vorgehensweise ist inakzeptabel und dient nur kosmetischen Effekten, um der Regierung Tätigkeit zu bescheinigen.
Es ist zu befürchten, dass am Ende "nur" Geld verteilt wird für einige Projekte gegen Rassismus. Das rassistische System an sich aber bleibt.

Wir empfehlen, zwei in sich und voneinander unabhängig arbeitende Gremien einzurichten, die  öffentlich tagen, deren Abläufe, eingeflossene Expertise, Termine und Ergebnisse transparent sind und deren inhaltliche Ausrichtung den unterschiedlichen Phänomenen Rassismus und Rechtsextremismus gerecht wird.

Rassismus ist eine über Jahrhunderte gewachsene Ideologie, eingeschrieben in alle Ebenen und Strukturen von Gesellschaft. Seine Bekämpfung kann nur strukturell erfolgen, denn er reicht weit über die Gesinnung einzelner Rassist:innen hinaus.
Rechtsextremismus hingegen ist im Kontext des BMI vorrangig ein Sicherheitsthema - wie z. B. der aktuelle Angriff auf den Reichstag zeigt.

Als Bundespartei, deren oberstes Gebot der Abbau von Rassismus ist, unterstützen wir die vorgestern bekannt gewordene Forderung des Begleitausschusses der BKMO (Bundeskonferenz der Migranten-Organisationen) mit Nachdruck, eine institutionalisierte und wissenschaftlich fundierte Bekämpfung von Rassismus in der Bundesrepublik zu gewährleisten. Es kann nicht sein, dass OHNE einheitliche Definition von Rassismus GEGEN Rassismus gearbeitet wird und auf dieser nichtvorhandenen wissenschaftlichen Grundlage, politische Entscheidungen getroffen werden.
Grundsätzlich vermissen wir eine antikoloniale Agenda.
Alle bisherigen Maßnahmen zur Entwicklung von Katalogen weiterer Maßnahmen sind unbefriedigend, träge und exkludierend.
Besonderen Eifer lassen Sie in der Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus bisher nicht erkennen.

Hochachtungvoll,

Niki Drakos, Vorstandsvorsitzende
Raphael Hillebrand, Vorstandsvorsitzender
Die Urbane. Eine HipHop Partei – seit 2017 offizielle Bundespartei in Deutschland.

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