Arbeit | Freizeit
Wir stehen für ein universelles Grundeinkommen und die zunehmende Förderung und Ermöglichung von Selbstversorgung, so dass letztlich Arbeit eine Frage der Wahl und nicht der Pflicht sein wird. Arbeit und Arbeitsplatzerhaltung sind bereits seit langem ein Faktor, über den Unternehmen politischen Druck ausüben und mit dem Manager:innen für diese Unternehmen – und damit mittelbar auch für sich selbst – unverhältnismäßige Vorteile aushandeln. Billige bzw. nahezu kostenlose Arbeit ist ein Narrativ und eine Institution, die nicht mit dem offiziellen Ende der Praxis des Menschenhandels und der Versklavung praktisch aufhörte.
Die andauernde Arbeitsausbeutung in Ländern und Regionen entlang kolonialer Dominanzverhältnisse, kann nicht damit weiter legitimiert werden, dass sich daraus über Generationen für Familien eines schönen Tages eine Mittelschichtszugehörigkeit erreichen lässt. Das ist keine akzeptable Perspektive aus menschenrechtlicher Sicht und aus machtkritischer und rassismuskritischer antikolonialer Perspektive. Arbeit sollte – soweit noch kein Grundeinkommen etabliert ist – Lebensstandards vor Ort nicht nur sichern, sondern garantieren und dies sollte Bedingung sein für jedes multinationale transkontinentale wirtschaftliche Engagement. Die Indikation muss gesetzlich verankert werden und es muss umgehend anwendbare Gesetzgebung und Rechtsprechung dazu geben, um die Durchsetzung zu sichern. (siehe Wirtschaft)
Die fortgesetzte Arbeitsausbeutung insbesondere von Schwarzen & PoC Gefängnisinsass:innen in den USA – bekannt als Prison Industrial Complex – ist nicht besser als Versklavung. Es werden mehr Menschen innerhalb dieses Komplexes ausgebeutet, als jemals zu einem Zeitpunkt Menschen versklavt waren auf den Territorien der heutigen USA. Solche und alle Formen der Arbeitsausbeutung müssen beendet werden und damit in Zeiten eines universellen Grundeinkommens Menschen für einen Zweck arbeiten und Zeit investieren, ist es an den Arbeitgeber:innen, Anreize zu schaffen, damit Menschen Freizeit/Selbstzeit für Arbeitszeit eintauschen.
Insgesamt wird es einen fundamentalen shift geben müssen hin zu unersetzlicher Arbeit – sprich Arbeit, die nicht genauso gut oder besser von Robotern oder automatisierten Systemen erfüllt werden kann (siehe AI/Bioenginieering). Dies ist insbesondere die Form von lehrender/begleitender Tätigkeit, die verschränkt mit/ in Kooperation mit/ und mit Hilfe von kulturellem/künstlerischem Ausdruck geleistet wird. Aber auch pflegende Berufe und betreuende/begleitende Berufe, insgesamt soziale Berufe werden noch viel breiter und tiefer ausdifferenziert und werden elementarer Bestandteil aller Bereiche, aller Ebenen, aller Kontexte, so dass dieser Sektor sehr viel größer werden wird. Arbeitsplätze in Branchen, die anachronistisch sind, sollten wegfallen und ab sofort durch ein Grundeinkommen aufgefangen werden, wie bspw in der Rüstung und im Kohlebergbau, sowie in der Massentierhaltung und -Schlachtung.
Mindestlohn
Jede Person hat nur eine begrenzte Zeit, die sie an einem Tag, in einer Woche, einem Monat, einem Jahr in Arbeit und in die Gewinnung von Arbeitseinkommen investieren kann. Dass sich Einkommen so massiv unterscheiden wird vor allem dadurch gerechtfertigt, dass manchen viele Jahre und viel Geld in teure Studien und Bildungsinstitutionen vorschießen. Trotzdem sollte der Rahmen innerhalb dessen Löhne voneinander abweichen, begrenzt sein, bzw die Lohnniveaus aneinander gekoppelt sein. Außerdem sollte der aktuelle Mindestlohn auf 15€/h angehoben werden.
Sexarbeit ist Arbeit
Die Diskurse über Sexarbeit sind oft von einem fundamentalen dialektischen Fehler geprägt. Wir wissen, dass Sex aus einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen zwei oder mehr Personen besteht, die sich selbstbestimmt dafür entscheiden. Alles was unter Zwang und in einem direkten Unterdrückungsverhältnis stattfindet, kann nicht Sex sein auch wenn die Handlungen sexueller Natur sind. Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung sind Verbrechen. Sie sind kein Sex.
Sexualität an sich ist zutiefst durchdrungen vom patriarchalen System. Wer welches Verhältnis und welche Einstellung zu Sexualität entwickelt, wer Lust empfindet und wie, wem welche Rolle und welche Praxis beim Sex zugeschrieben wird, wie dies medial und gesellschaftlich dargestellt, hergestellt und reproduziert wird, welche Bedeutung und welchen Stellenwert Sexualität für wen hat, alles das ist stark beeinflusst von kirchlichen und religiösen Narrativen und Regeln (mehrere hundert Jahre der Hexenverbrennung war auch Ausdruck und Mittel der Unterdrückung von sexuell selbstbestimmten Frauen bzw FLINTA* und im Prinzip öffentlich organisierte Femizide).
Die vermeintlich vollzogene „Emanzipation der Frau“ hat die Sexualität weitgehend ausgespart. Eine FLINTA*, die heute selbstbestimmt sexuelle Lust befriedigt, tut dies nicht dank der Emanzipation, sondern trotz des gesellschaftlichen Stigmas, das damit immer noch einhergehen kann. Gerade, wenn diese Lust nicht innerhalb der Grenzen einer cis heterosexuellen Partnerschaft ausgelebt wird. Begriffe wie Schlampe und Hure, etc. haben nach wie vor Hochkonjunktur und werden mittlerweile von FLINTA*, die sich selbst sexuell ermächtigen, rück-angeeignet. Es ist nicht ganz unzweideutig, da im Zuge der Rückaneignung auch Bilder und Narrative reproduziert werden können, die sich auf den ersten Blick nicht von denen unterscheiden, in denen FLINTA* zu sexuellen Objekten reduziert werden, aber der Backlash im Angesicht von Sex-positiven FLINTA* a.k.a. slut-shaming hat seine Ursachen nicht in der Ablehnung von Objektifizierung von FLINTA* und von sexueller Ausbeutung, sondern in der Konfrontation mit der Widersprüchlichkeit zwischen der internalisierten sexuellen Fremdbestimmung von FLINTA* und dem Selbstbild der vermeintlich emanzipierten Gesellschaft.
Die Nebensächlichkeit sexueller Lust und Befriedigung von FLINTA* in der Gesellschaft als ganzes steht in einem krassen Widerspruch zum Narrativ, dass Sexarbeiter:innen den eigenen Körper „verkauften“. Was sozusagen bemängelt wird, ist, dass Sexarbeiter:innen bei sexuellen Dienstleistungen ja nicht selber Lust empfinden bzw. die eigene Lust befriedigten. Abgesehen davon, dass das in dieser Absolutheit nachweislich nicht stimmt, ist es interessant, dass hier auf einmal das Empfinden von Lust und ihre Befriedigung beim Sex doch so hoch bewertet wird, während es aber gleichzeitig keine staatliche oder öffentliche Agenda gibt, die sich darum kümmert, ob FLINTA* in ihrem nicht-kommerziellen Sexleben stets Lust empfinden und Befriedigung erleben. Also: was denn jetzt?
Wer von uns welche Teile unserer Körper wie einsetzt, um Arbeitseinkommen zu erzielen ist weiterhin eine wichtige Frage, die auch im Kontext anderer Themenbereiche wie medizinische Forschung, Organhandel, Leihmutterschaften etc durchaus weiter diskutiert werden kann. Aber wo da die Selbstbestimmung aufhört und die Fremdbestimmung beginnt, ist im kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen System nicht eindeutig oder allgemein bestimmbar. Und eine Diskussion, die nicht mit denen stattfindet, die direkt betroffen sind, kann getrost unterlassen werden.
Oben steht, sexuelle Handlung, die unter Zwang und in einem direkten Unterdrückungsverhältnis stattfindet, kann nicht Sex sein. Es muss sehr deutlich gesagt werden, dass fast alles, was wir tun und unsere Existenzen per se in Unterdrückungsverhältnissen stattfinden. Zwischen cis Männern und FLINTA*, zwischen arm und reich, zwischen weiß und BIPOC, etc. wirkt stets und überall und intersektional Dominanz und Unterdrückung. In dem Kontext ist das Wort „direkt“ zu verstehen.
Menschenhandel, (sexuelle) Versklavung und sexueller Missbrauch sind kein Sex. Menschenhandel, Versklavung und sexueller Missbrauch, die in diesem Bereich stattfinden, sind kriminell und menschenverachtend und sind direkte Folgen von Armut, Grenzregimen, kapitalistischer Ausbeutung und von Kriegen. Wer sie beenden möchte, braucht kein Sexkaufverbot. Sondern Bewegungsfreiheit, Verteilungsgerechtigkeit und Frieden.
Sexarbeit ist ein Sektor, in dem intersektional und überproportional viele BIPOC, Migrant:innen, Undokumentierte, chronisch Kranke, arme Personen, Alleinerziehende, Student:innen und Personen tätig sind, deren Arbeitseinkommen nicht reicht, um in einer kapitalistischen Gesellschaft „dazu zu gehören“ und teilzuhaben.
Alles, was politisch entschieden wird bezüglich Sexarbeit muss mit Selbstorganisationen von Sexarbeitenden entwickelt werden. Nicht ohne sie und auch nicht (nur) mit ehemaligen Sexarbeiter:innen. Eine wichtige Forderung muss sein, diese Selbstorganisationen zu stärken – finanziell und strukturell. Die finanzielle Ausstattung von Organisationen, die sich paternalistisch und hegemonial gegen Sexarbeit einsetzen sollte zugunsten von Selbstorganisationen eingestellt werden.
Sexarbeit muss entkriminalisiert werden und entstigmatisiert werden, denn nur dann können Sexarbeiter:innen in tatsächlichen Fällen von Missbrauch und Gewalt von Polizei oder einer entsprechenden Institution Schutz bekommen und nur so können diese Fälle als Verbrechen verfolgt werden. Aktuell passiert das nicht, weil FLINTA*, die als Sexarbeiter:innen Gewalt oder Missbrauch erleben, gar nicht erst die Polizei rufen, weil sie oft selber diejenigen sind, die kriminalisiert werden bzw durch die Polizei weitere oder noch größere Gefahr droht.
Insbesondere das Ende des Stigmas, das mit Sexarbeit einhergeht, ist eine besondere Verantwortung der Medien und der Institutionen. Sie können eine wichtige Rolle spielen für die Sichtbarkeit der Kämpfe, der Stimmen und der Anliegen von Sexarbeiter:innen und können die Diskurse, die Sexarbeit mit Ausbeutung, Gewalt und Kriminalität gleichsetzen, aufbrechen und sie hinlenken zu den Themen Sexualität, Lust, Befriedigung, Konsens einerseits und zu dem Zusammenhang von Grenzregimen, Kriegen, Arbeitsausbeutung und Armut mit Menschenhandel, Versklavung und Missbrauch andererseits.
Im großen und ganzen ist Arbeit an sich im kapitalistischen rassistischen Patriarchat nie ohne Widersprüche. Sich aufreizend anzuziehen, um Freier anzulocken und den eigenen Körper für sexuelle Dienstleistung einzusetzen ist nicht weniger feministisch, als Marketingbotschaften für Primark zu entwickeln, im Wissen um die Arbeitsausbeutung der Näher:innen in Bangladesh - eher das Gegenteil ist der Fall. Denn Sexarbeit besteht aus dem Einsatz des eigenen Körpers und nicht aus der Akzeptanz der Ausbeutung dritter.