Globale ökonomische Gerechtigkeit
Eigentum, soziale Verantwortung, machtkritische Unternehmenskultur (DOE)
Wirtschaft als Bereich innerhalb von Gesellschaft ist grundsätzlich die Idee von Markt, von Herstellung und Austausch von Waren und Dienstleistungen und die Arbeitsenergie und die Materialien, die erst gewonnen werden und dann in die Produktion fließen. Die daraus hervorgegangene Idee von Geld als „Schmiermittel“ ist „nicht mehr weg zu denken“, so alt und universell ist diese Idee, diese “Erfindung”, dass es nicht machbar aber auch nicht nötig erscheint, sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Allerdings ist infrage zu stellen, was genau als Geld gilt, wie Geld entsteht, ob und wie es vermehrt wird, wie es verteilt wird und wie damit umgegangen wird.
Auch die Idee von privatem Eigentum und Besitz ist ein Parameter in der Gestaltung eines Wirtschaftssystems. Eigentum, so wie es im Grundgesetz festgeschrieben ist, bringt auch eine Verpflichtung mit sich. Eigentum muss auch dem Allgemeinwohl dienen – eine uralte Idee innerhalb vieler Strukturen, Kulturen und Wirtschaftsräume. Dieser Grundsatz ist sogar Teil von sehr vielen schriftlichen Verfassungen weltweit. Aber im aktuellen globalen kapitalistischen System ist er völlig unsichtbar gemacht und widerspricht den Interessen von multinationalen Konzernen. Wir möchten diesen Grundsatz ins Zentrum stellen, ihn zu einer wichtigen Grundlage machen für zukünftige Politik. Außer im Grundgesetz sollte er auch noch an anderen Stellen gesetzlich wirksam werden. Besonders gilt das für das Eigentum an Boden und Wohnraum (siehe Wohnen, Leben, Versorgung).
Das kapitalistische System, das Hand in Hand und im Zusammenwirken mit der massenhaften Versklavung und Kolonisierung erwachsen ist, ist nicht losgelöst vom rassistischen System zu sehen, das diese entmenschlichende Ausbeutung erst möglich machte. Die Idee von Eigentum an und Dominanz über Mitmenschen und über Land und Bodenschätze ist eine Idee, die sich 500 Jahre lang in das kollektive unterbewusste europäische Gedächtnis und Selbstverständnis eingeschrieben hat. Die Vorstellung, dass die jetzt lebenden Generationen der weißen Mehrheitsgesellschaften davon befreit seien, ohne dass jene Geschichten der Versklavung und Kolonisierung aufgearbeitet wurden, ignoriert koloniale Kontinuitäten und Dominanzen, die ungebrochen wirken.
Es geht also bei Eigentum nicht nur um den unmittelbaren Besitz von Dingen. Sondern auch um den erwarteten Besitz und den Anspruch auf zukünftigen Besitz. Es geht auch um eine historische Betrachtung der Entwicklung von Eigentum und Besitz und um verschiedene Konzepte davon. Wir leben in einer eurozentrischen Ordnung von Wirtschaft und von Eigentum und Besitz.
Wirtschaften wird danach als die Quelle von Reichtum verstanden bzw. ist das stillschweigende Ziel die Anhäufung von Besitz. Wenn Wirtschaften aber auf der Ausbeutung von Umwelt und/oder Menschen oder auf deren Vertreibung oder Gefährdung beruht, bzw auf deren ungerechter oder menschenrechtswidriger Behandlung, dann ist der damit geschaffene erzielte Reichtum ‘unsittlich’ und nicht rechtmäßig. Auch wenn die Ausbeutung nicht absichtlich erfolgt, oder wenn die Ausbeutung eine Konsequenz aus der Form oder Natur dieses Wirtschaftens ist, dann ist auch daraus erzielter Reichtum rechtswidrig. Rechtswidrig erlangter Reichtum kann kein Eigentum sein. Er muss den Communities erstattet werden, er muss insbesondere jenen dienen, die an seiner Erschaffung Schaden erlitten haben.
Vertragspartner für das Wirtschaften mit Land, mit natürlichen Ressourcen, Rohstoffen, Energieträgern, etc kann nie nur eine Person, eine Institution, ein Unternehmen, eine Regierung sein. In Verträge, die solche Güter betreffen, müssen alle involviert sein und es müssen alle mitbestimmen, die von dieser Unternehmung berührt und betroffen sind.
Unternehmer*innen und Unternehmen müssen partizipative Prozesse etablieren, in die die Konsument*innen, die Produzent*innen, die Arbeitenden, die Finanzierenden, die davon regional Betroffenen, die davon global Betroffenen so involviert sind, dass sie ohne Sorge um ihre Position und ihre Sicherheit ihre Anliegen und ihre Perspektiven in die Planung oder Unternehmung einbringen können. Die Umwelt selbst als Akteurin ist dabei bisher darauf angewiesen, dass sich Umweltaktivist:innen schützend für sie einsetzen. Hierzulande gibt es nun das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz: Gemeinnützige Umweltverbände, die mindestens drei Jahre in Deutschland tätig sind, dürfen im Dienst der Natur vor Gericht ziehen. Client Earth bspw. wird ab 2022 in Deutschland klagen dürfen. Der Naturschutzbund NABU klagt bereits - zuletzt gegen die Nordstream Pipeline (Mai 2021)
Für Klagen gegen Bauvorhaben/Infrastrukturprojekte gilt bspw: Die Ergebnisse beruhen oft auf Gutachten und nach dem deutschen Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung bestimmt die Vorhabensträgerin die Gutachter:innen. Das muss sich ändern. Umweltverbände müssen zustimmen und müssen ein Vetorecht haben. Umweltverbände sollten so finanziert sein, dass sie unabhängig bleiben, aber in ihrer Arbeit nicht beeinflusst werden. Unabhängige Umwelt- und Menschenrechts-Kommissionen sollten auf kommunaler und Länderebene alle Unternehmen nach ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien bewerten. Vor allem müssen Unternehmen, die global operieren, sich erklären.
Unternehmen sind nur rechtliche Fiktionen, die wiederum reale Personen beschäftigen und für reale Personen Angebote herstellen. Die Existenz und das Bestehen oder Fortbestehen eines Unternehmens ist aber nicht höher zu bewerten oder wichtiger, als irgendeines der Menschenleben, die dort arbeiten, oder das Angebot des Unternehmens konsumieren oder von seinen Aktivitäten betroffen sind. Unternehmen müssen unbedingt soziale Pflichten erfüllen und Unternehmen müssen anhand von Umwelt- Beschäftigten- und Zielgruppenbedürfnissen zertifiziert bzw kategorisiert werden. Diese Kategorisierung muss so ermittelt und vergeben werden, dass Bestechung und Korruption unmöglich ist. Die Kategorisierung (bspw in der Gemeinwohlökonomie die Gemeinwohlbilanz) muss unabhängig passieren, aber Unternehmen müssen gesetzlich verpflichtet werden, verbindlich relevante Daten zu erheben und zugänglich zu machen, anhand derer ihr Beitrag zum Allgemeinwohl messbar wird. So wie Unternehmen ihre Finanzen erklären müssen und darüber Buch führen müssen, müssen sie eine Klima- und Umweltbuchführung einrichten und eine intersektional machtkritische und dekoloniale Dokumentation etablieren. Lohnniveau, Mitarbeiter:innen-Mitbestimmung, Transparenz, Ansprachesysteme in Fällen von Gewalt oder Diskriminierung am Arbeitsplatz, Personalpolitik, Arbeitsplatzgestaltung, Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, Einbindung der Umgebung, Management-Sozialstunden, Bereitstellung von Flächen und Räumen für unabhängige künstlerische Gestaltung, Bereitstellung von Raum für kulturelle Angebote, etc… Außerdem ist Barrierefreiheit bzw sog. Inklusion hervorzuheben im Kontext von Gestaltung der Arbeitsplätze und Beschäftigung von be_hinderten Personen. Die Option, dies durch Geldzahlungen zu umgehen, muss perspektivisch aufgehoben werden. Bis dahin müssen sie so hoch angesetzt sein, dass sich dieser Weg nicht lohnt.
Kosten für Bodenschätze und sonstige Ressourcen und Rohstoffe dürfen nicht nur danach bewertet werden, wie hoch die Kosten der Förderung, Gewinnung und Extraktion sind. In den Kosten muss eine ökologische Komponente (CO2 Ausstoß, Wasserverbrauch, Energieverbrauch, chemische Verunreinigung von Böden und Gewässern, sonstige Umwelt- und Klimawirksame Faktoren) abgebildet sein und es muss eine soziale Komponente der Umgebung einfließen (mittlere Lebenserwartung, Zugang zu Bildung, Gesundheit, Internet, Grundnahrung, Wohnung, Sicherheit). Das betrifft natürlich nicht nur, aber besonders sämtliche Rohstoffe und Bodenschätze, die auf dem afrikanischen Kontinent für den Konsum in weißen Mehrheitsgesellschaften beschafft werden, sowie jene in Mittel- und Südamerika, in der Karibik, dem asiatisch-pazifischen Raum und in den Meeren.
Laut EITI (Extractive Industries Transparency Initiative) wird der sogenannte globale Süden um schätzungsweise 1 Billion $/Jahr seit 2011 betrogen durch Korruption und illegale Deals in der Rohstoffförderung. Viele dieser Deals involvieren anonyme Unternehmen. Initiativen wie EITI, PWYP (Publish What You Pay), Beneficial Ownership Transparency und Open Ownership versuchen, Transparenz zu schaffen und vor allem die eigentlichen Profiteure hinter anonymen Unternehmen sichtbar zu machen. Aber diese Bemühungen reichen nicht aus, da sie nur auf der Regierungsebene vor Ort ansetzen. Die anderen Akteur:innen müssen genauso aktiv werden. Multinationale Konzerne müssen gesetzlich verpflichtet werden, die soziale und ökologische Komponente zu berücksichtigen. Dies muss auch für Unternehmen gelten, die an irgendeiner Stelle Teil der Lieferkette (der betreffenden Rohstoffe) sind. Deutschland muss beispielhaft mit der Verabschiedung und Implementierung eines solchen Gesetzes beginnen - auch als Teil einer dekolonialen Verantwortung.
Kosten für Arbeitskraft müssen reguliert werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass Löhne und Arbeitskosten sich nach ggfs niedrigsten mittleren Löhnen in der Region richten. Lohn muss an einen Warenkorb gebunden werden, der Gesundheit, Bildung, Sicherheit, Wohnung, Kultur, Nahrung, Familie, Kleidung und Fortbewegung beinhaltet. Alles andere ist moderne Versklavung. Insgesamt muss das kürzlich verabschiedete Lieferkettengesetz erneut auf den Tisch, da es nicht weit genug geht. Es muss den gesetzlichen Rahmen sehr eng gestalten und über Verbandsklagerecht durchsetzbar sein. Verstöße müssen massive Strafen verursachen und müssen auch strukturelle Maßnahmen auslösen, wie bspw sofortige Absetzung von Vorständen, Geschäftsführungen und Manager:innen, Ausschluss aus der Börse oder anderen Kapitalbeschaffungsplattformen. Auch eine Vergenossenschaftlichung kann eine Konsequenz aus Verstößen sein.
Alle EPA (European Partnership Agreements) müssen ausgesetzt und neu verhandelt werden. EPA bewirken vor allem eine aggressive Öffnung afrikanischer, pazifischer und karibischer Märkte für europäische Produkte. Meist (subventionierter) billiger Überschuss, der dann Märkte überschwemmt und lokale Handelsstrukturen, Produktionen und Gleichgewichte in den Preisniveaus zerstört. Diese Öffnungen wurden häufig erpresst und als Bedingungen für Kredite und sogenannte Entwicklungszusammenarbeits-Leistungen gestellt. Wir fordern die Bindung von EPA an die radikale Neubewertung von Ressourcen und Bodenschätzen, an Beneficial Owner Transparency und an die globale Neuordnung der Förderung und des Abbaus und der Gewinnung dieser Ressourcen und Bodenschätze.
Geld ist eine bewährte Einrichtung – manche würden sagen Geschichte – um Tauschgeschäfte zu erleichtern. Geld hat großes Potential für gesamtgesellschaftlichen Nutzen im globalen Sinne. Aber Geld birgt auch enorme Gefahren, so wie aktuell Geld verstanden, geschöpft, vermehrt und verteilt wird.
Die massive Ausdehnung des Volumens von Wirtschaft global seit dem Beginn der Kolonisierung und damit auch die sprunghafte Entstehung und Entwicklung des Bankensystems stehen in direktem Zusammenhang mit dem System des massenhaften Menschenhandels, der Versklavung und aller darauf aufbauenden Industrien, Märkte, Handelsverbindungen und Produktionssysteme.
Auch die Preis-Gestaltung von Gütern ist enorm problematisch. Preisgestaltung aktuell zentriert das Produkt oder die Dienstleistung und zentriert nicht die negativen oder positiven Auswirkungen des Produktes auf die Welt, auf die Gesellschaft, etc. Gesellschaftliche Kosten und Nutzen, die durch Produkte und Produktionsprozesse anfallen, fließen selten in seinen Preis ein. Das muss sich radikal verändern. Hierfür müssen gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Es muss aber ein gesamtgesellschaftlicher Dialog und ein Konzept her, das dies alles erfasst und nachhaltige Alternativen anbietet.
Sämtliche Wirtschafts-Modelle und -Theorien, die weltweit an Universitäten gelehrt werden und die Grundlagen für alles wirtschaftliche Entscheiden und Handeln bilden, haben Bias und Ungleichheit, Rassismus, Patriarchat und Klasse als Fundament, tun aber so, als könne mensch im Vakuum handeln. Die Wirtschaftswissenschaften, wie sie aktuell vermittelt werden, sind nicht geeignet, Lösungen und Modelle zu entwickeln für ein nachhaltiges Wirtschaften. Hier muss sehr dringend mehr Interdisziplinarität passieren und es muss mit viel größerer Ernsthaftigkeit und Sorgfältigkeit gearbeitet und gelehrt werden. Wir haben Besseres verdient, als Pseudowissenschaften. Die standardmäßige Theorie der sog. Nutzenmaximierung muss als Prämisse in frage gestellt werden.
Der unternehmerische Trotz gegenüber Bewegungen, die unternehmerische Macht und Dominanz kritisieren, die sozial gerechte Strukturen etablieren möchten, die das bestehende kapitalistische System überwinden möchten, muss unterbleiben. Wir haben keine Zeit für Spiele, wie die von facebook, das im Kontext von EU-Datenschutz-Bestimmungen drohte, der EU den facebook-Dienst abzuschalten. Solche Reaktionen sind inakzeptabel. Der Dialog mit Unternehmen muss unbedingt auf eine Kooperation hinauslaufen. Hierzu braucht es wiederum intensive Gespräche (Vorstände, NGOs, Politik, Expert:innen), innovative Modelle für Übergänge in neue Gesellschaftsmodelle und den Support der Unternehmen – nicht deren Trotz – bei den Übergängen. Alle müssen gemeinsam und global gestalterisch tätig werden.